Alter zum Zeitpunkt des Briefes: 
9.0 Jahre

Ein Bericht in Entwicklungsetappen

Die Geburt bis 8 Wochen

Jasmins Geburt war dramatisch. Ihr geschätztes Gewicht war auffällig gering und deshalb sollte ich ein paar Tage zur Beobachtung ins Krankenhaus. Nach ca. 20 Min. Untersuchung wurde festgestellt, dass Jasmins Herztöne unter den Wehen sehr schlecht waren. (Die Wehen waren so leicht, dass ich sie selber kaum merkte). Also sollte ein Notkaiserschnitt gemacht werden. Jasmin kam dann mit 1530g zur Welt und lag danach 8 Wochen im Krankenhaus. Sie kam 6 Wochen zu früh. Diese Zeit war schwer - kein Kind im Arm zu haben, nur ein Foto. Später, nach meiner Entlassung musste ich täglich zur Klinik fahren um Muttermilch abzugeben. Über Jasmins Behinderung erfuhren wir erst 1 Tag vor ihrer vorgesehenen Entlassung. Einem Arzt ist ihre Stimme und ihr kleiner Kopf aufgefallen und deshalb wurde eine Chromosomenanalyse gemacht. Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein, die nächsten Tage war ich fast nur am weinen. Es file mir schwer, mich bewusst von vielem zu trennen, Dingen, die meine Tochter ab jetzt nie in ihrem Leben würde machen können: Führerschein, Heiraten, einen Beruf erlernen, selbständig Leben usw. Es hat mindestens 2 Tage gedauert, bis ich Jasmin in den Arm nehmen konnte ohne zu heulen. Nach etwa einer Woche war das „Schlimmste“ vorbei und ich wurde nur noch sporadisch traurig oder weinerlich. Sicherlich haben hier unsere Elternfamilien und meine Schwägerin geholfen, vor allem meine Schwägerin, die früher ein Kind verlor. Sie ahnte, was ich durchmachte. Am Schlimmsten fand ich normale Mädchen zwischen 2 und 6 Jahren. Ich musste dann denken: mein Kind wird nicht so sprechen können, so schnell laufen können, usw. Erst nach ca. einem Jahr schaffte ich es kleine Mädchen zu "genießen", ohne Neid und Trauer.

Mein Mann nahm die Behinderung relativ schnell an. Er sagte sich, du musst jeden Tag bewusst und dankbar leben. Andere Babys können anfangs auch noch nicht sprechen und laufen. Und wie viele Tage "unsere" Jasmin (und auch wir selbst) noch auf dieser Erde leben werden, das wissen wir nicht. Gott weiß es und wenn wir Ihm vertrauen, wird er es mit uns richtig und gut machen.

1/2 Jahr bis 2 Jahre (die "Spuck-Zeit")

Jasmin war ein liebes, strahlendes Baby. Aber wie sie spuckte! Wahnsinn! Sie erbrach mehrmals am Tag und dann so viel, dass ich alles umziehen musste. Ich besaß Unmengen von Kinderkleidung und Stoffwindeln (40 Stück). Wo Jasmin lag, da gab es immer eine Schüssel mit Wasser und Waschlappen. Irgendwie war man abgehärtet und merkte den Geruch kaum. Da Jasmin nicht von der Brust trinken konnte, stillte ich noch 6 Monate, indem ich Milch abpumpte. Überall musste eine große elektrische Pumpe mit, mir fehlten nur noch 2 weitere Beine und ein Schwanz! Es war mir aber wichtig. Ich hoffte dadurch Jasmins Entwicklung positiv zu beeinflussen und der Arzt gab mir recht. Er meinte, wenn es irgendwie ginge, wäre es besonders wichtig für Frühgeborene und Behinderte. Jasmin war auch sehr ängstlich und empfindlich. Vor Ärzten und Geräuschen hatte sie panische Angst. Einen Frisörbesuch durchzuhalten war nicht möglich. Kämmen war ein Fremdwort, nur Bürsten war gerade noch erträglich. Jasmin war am Kopf super empfindlich. Aber ihre Freude und Zufriedenheit half ungemein.

Zum Glück war Jasmin unser erstes Kind, ich hatte viel Zeit für sie und ich dachte, erbrechen wäre normal. Man sagt doch: Spei-Kinder seinen Gedeih-Kinder. Ich fuhr sie 3 mal in der Woche zu Therapien. Zuerst Bewegungstherapie, nachher Ergotherapie. Nach einer Eingewöhnungszeit brauchte ich bei den Therapien nicht mehr anwesend zu sein und Jasmin fremdelte kaum noch. Da liefen alle Therapien wunderbar. Erst als unser drittes Kind kam, war mir die Fahrerei zu viert zu viel. Die "Familienentlastenden Dienste" kamen und fuhren Jasmin zu ihren Therapien.

Im nachhinein würde ich sagen, waren diese Jahre von 0-2 Jahre die schwierigsten (bis jetzt). Hinzu kam, dass ich auch miene Ausbildung als Erzieher abschließen wollte. Es fehlten nur 6 Monate Praktikum, ein Bericht und mündliche Prüfungen. Ich machte das Praktikum im Kinderkleinstheim mit Jasmin und der elektrischen Pumpe (die Muttermilch). Jeden Tag fuhren wir 3 zur Arbeit. HART, aber mit Erfolg konnte ich die Ausbildung abschließen. Diese Jahre war ich ganz für Jasmin da, ich hatte das Gefühl, sie brauchte es.

41/2 bis 7 Jahre, Kindergartenalter, (die "Rotze-Zeit")

FREIHEIT! Ein halber Tag ohne Jasmin. Es war wunderschön! Endlich konnte ich vormittags den Haushalt besser planen und ab und zu Termine ohne Jasmin wahrnehmen. Jasmin lebte sich ohne Probleme im Kiga ein, war aber am Anfang sehr müde. Sie schlief sogar manchmal im Stuhlkreis ein. Ich schätze, dass sie vorher überfordert gewesen wäre. Wir suchten einen integrativen Kindergarten aus (ca. 15 km entfernt). Jasmin schaffte die Taxifahrt gut. Alle waren glücklich und zufrieden. Mir fehlte nur der persönliche, engere Kontakt zu den Erziehern und den anderen Eltern. Dies fiel fast ganz weg. Durch das Taxifahren sah man sich nur an Elternabenden. Jasmin war oft krank: Masern (2-mal, trotz Impfung!), Windpocken und viele, viele andere Infekte. Alles war viel schlimmer als bei ihren Geschwistern. Eine Erkältung zog sich über Wochen hin. Im einem Jahr war Jasmin mehr zu Hause als im Kiga. Jasmin seiberte ziemlich viel und durch die Erkältung kamen noch Unmengen von Schleim hinzu. Wir brauchten ca. 12 Lätzchen pro Tag. Trotz allem war sie fröhlich, tapfer und sie kam sehr gut mit ihren Geschwistern klar. Jedes Baby liebte sie innig. Erst als die Geschwister ca. 3-4 Jahre alt waren bekamen sie ihr eigenes Reich, wo Jasmin nicht hin durfte. Das hat sich bis heute gut bewährt, jeder kann allein spielen. Jasmin lernte viel durch ihre Geschwister. Sie konnte 3 mal mitkrabbeln und hatte 3 mal Spielkameraden mit dem gleichen Entwicklungsstand. Es gibt immer etwas für sie zum Schauen, zu Hören und manchmal einen Spielfreund. Es wird nicht so schnell langweilig für sie.

7 Jahre bis jetzt, (Schulzeit)

Jasmin kam erst mit 7 in die Schule, da sie oft vorher krank gewesen war. Wir suchten eine Sonderschule aus. Mir war es wichtig, dass Jasmin nicht mehr die Schwächste sein sollte (wie zu Hause und im Kiga), sondern eher der Durchschnitt oder kurz darunter, sie sollte sich eher "normal" fühlen. Vor allem sollte die Schule morgens nicht zu früh beginnen wegen den Taxianfahrten. Der Übergang war problemlos und die Schule ist einfach Spitze! 10 Kinder in einer Klasse mit 2-3 Kräften. Jasmin genoss eine 3-tägige Klassenfahrt. Sie kommt gut zurecht und fühlt sich wohl. Sie wird um 7.30 Uhr abgeholt und kommt um ca. 13.45Uhr wieder. Sie ist ruhiger geworden, nicht alles wird zerrissen und kaputt gemacht. Sie versucht jetzt langsam trocken zu werden. Jasmin ist meistens froh und ausgeglichen. Sie ärgert sich nur manchmal, verständlicherweise wenn sie etwas nicht versteht oder sich nicht mitteilen kann. Ab und zu wird sie traurig, wenn sie merkt, die Geschwister können etwas, was sie nicht kann. Zum Beispiel Brett und Kartenspiele.

Ich - Jasmins Mutter

Irgendwie als "behinderte Mutter" ist man besonders wichtig und man merkt oft, dass man mehr Verantwortung und Einschränkungen tragen muss. Seit januar 2001 arbeite ich wieder. Ich unterrichte Vorschulenglisch im Kindergarten und arbeite in einem Fitness-Studie als Aerobictrainerin ca. 11 Std. pro Woche.

Ich bin nicht nur Mutter, sondern auch eine selbständige Person und das tut gut! Zur Zeit muss ich lernen, Jasmins Behinderung wieder neu anzunehmen. Bis jetzt fiel es mir nicht so sehr auf, wie ihre Behinderung einschränkt. Durch ihre Geschwister war immer ein Säugling da, also musste ich sowieso Rücksicht nehmen: wickeln, pflegen, dasein. Erst jetzt, wo mein Jüngster, Jonathan, 4 Jahre alt ist, merke ich, es gibt viele Sachen, die nicht mehr mit allen Kindern möglich sind oder nur begrenzt möglich sind mit Jasmin. Oft denke ich dann: "wenn Jasmin nicht da wäre, dann könnte/n ich/wir ...". Ich muss lernen, nach und nach Jasmins Behinderung ganz anzunehmen. Die beste Lösung scheint nicht alles zusammen zu machen, sondern manches zusammen und manches getrennt. Mal bin ich allein, mal mit Reine (leider zuwenig, da Babysitter zu teuer sind), mal mit 1 Kind, mal mit 2 Kindern, mal mit 3, mal alle zusammen. So ist jeder eher zufrieden. Jasmins Freizeit ist auch schwieriger geworden. Die Geschwister werden langsam selbständig und Jasmin bleibt oft mit mir allein im Wohnzimmer. Ich möchte nicht, dass sie sich langweilt, aber ich habe auch nicht immer Lust und Zeit mit ihr Memory o.ä. zu spielen. Seit einem Jahr geht Jasmin einmal die Woche zur Schwimmtherapie und zur Reittherapie. Über beides freut sie sich riesig.

Tja, das ist bis heute der Stand der Dinge und ich freue mich auf die Zukunft (bis auf die Schulferien!). Ich denke oft: spätestens im Himmel,da werden wir erfahren, wie unsere Kinder ohne Behinderung sind. da werden sie uns vieles erzählen und erklären können.

Jasmins Mutter Stefanie (Dezember 2001)

 

Fotoalbum

Weihnachten (2009)
Jasmin (Jahrestreffen 2010)
Bild 07.01.2011 - 17:15