Wir fuhren 1999 das erste Mal zum Jahrestreffen nach Lieberhausen. Schon Wochen vorher begann die Unruhe und je näher der Termin rückte, wurde es schlimmer. Die Angst vor dem was kommen mag, war aber nicht so groß wie die Neugier. Nicht etwa die Neugier auf die ebenfalls betroffenen Kinder, nein ...! Mich interessierte besonders, wie die vielen anderen Familien mit dem Schicksal in der Familie leben, wie kommen die Geschwisterkinderkinder mit der Situation zurecht, gibt es Unterschiede im Verlauf der Krankheit und und und ... Die Fragen hörten ja niemals auf.
Eine Antwort, so schien uns, konnte nur die Teilnahme an dem Jahrestreffen bringen. Dass wir nicht nur eine Antwort bekamen, sondern auch viele nette Familien mit ihren Kindern kennenlernten, war das Resümee, welches noch auf der Heimfahrt von Lieberhausen nach Eilenburg gezogen wurde. Eine wichtige Verbindung zwischen den Jahrestreffen sind natürlich die Informationshefte, man lernt auch hier in gewisser Weise die Kinder kennen. Wir möchten nun auch unsere Tochter Julia etwas näher vorstellen und freuen uns schon jetzt auf das Jahrestreffen 2000 in Olpe!
Nach einer normal verlaufenen Schwangerschaft, kam unser Sonnenschein pünktlich zum Termin am 20.10.1997 zur Welt. Die Geburt wurde per Kaiserschnitt vollzogen. Sie wog 2890 Gramm und war 49 cm groß. Ich war so überglücklich, dass ich nach meinem Sohn Patrick nun auch noch eine kleine Tochter hatte. Die ersten Tage verliefen relativ normal, außer, dass sie nicht sonderlich viel trank. Trotzdem schlief sie recht gut, so dass kein Anlaß zur Sorge bestand. Wäre nur dieses "Röcheln" nicht gewesen. In besonderer Schlaflage wurde daraus ein richtiges Schnarchen. Anfangs machten wir uns noch einen Spaß daraus, von wegen ..das wird sie wohl von ihrem Vater haben. Auch dieses seltsame Weinen können wir nun anders deuten. Damals haben wir ebenfalls unseren Spaß gemacht und gesagt: "Hör mal, unsere Mietz mautzt schon wieder."
Als dieses schwere Atmen sich verschlechterte, begaben wir uns in die Uni-Klinik nach Leipzig. Wir wußten damals nicht, dass es das schlimmste Vierteljahr werden sollte. Man begann Julia förmlich auf den Kopf zu stellen. Als sie sich in der Klinik einen Infekt holte, kam es zu akuten Atemproblemen, so dass man sie sogar auf die Intensivstation legen mußte. Bei den zahlreichen Untersuchungen stellte man dann fest, dass diese Atembeschwerden nicht nur von dem Stridor stammten, sondern, dass man noch ein Duktusbändchen operativ entfernen mußte. Danach sollte die Sache ausgestanden sein. Meinte man zumindest in der Klinik ...
Nachdem unsere Tochter wieder mal die Vollnarkose gut überstanden hatte, konnten wir sie nach einigen Tagen mit nach Hause nehmen. Wir dachten wirklich, nach dem schrecklichen Vierteljahr, nun wird alles gut. Trotzdem entwickelte sich Julia meiner Meinung nach viel zu langsam. Sie hatte mit einem halben Jahr überhaupt gar keine Kopfkontrolle, von einer Bauchlage wollen wir erst gar nicht reden. Nun hieß die Diagnose der Ärzte: Entwicklungsverzögerung durch die Operation (man hatte mal wieder eine Begründung gefunden). Einige Zeit haben wir ja selber daran geglaubt. Dennoch sagte mir meine innere Stimme, dass irgend etwas mit Julia nicht stimmte. Wieder begann eine Zeit, wo man von Arzt zu Arzt rannte. Ich holte mir die unterschiedlichsten Überweisungen zu den unterschiedlichsten Ärzten. Meine Familie hielt mich, glaube ich jedenfalls, in dieser Zeit auch schon für verrückt. Als hetzte ich der Wahrheit hinterher. Meine letzte Hoffnung setzte ich dann in eine Humangenetiker in Leipzig, dem ich Julia vorstellte. Ich werde nie in meinem Leben vergessen, als am 13. 11. 98, einem Freitagabend, das Telefon klingelte und mir Dr. Sandig sagte: "Frau Eimann, ich habe bei Julia etwas entdeckt, ich möchte es jetzt nicht am Telefon sagen. Kommen Sie am Montag in meine Praxis, - und kommen Sie in Begleitung!" ... war doch sehr taktvoll, oder? So erfuhren wir am 16. 11. 98 dass Julchen ein Cri-du-chat-Kind ist. Obwohl der Arzt mir nicht sehr viel über dieses Syndrom sagen konnte (außer dass Julia nicht Sitzen und Laufen würde und niemals 5+5 zusammenziehen könnte), war ich irgendwie erleichtert, endlich hatte diese Irrfahrt ein Ende.
Warum, warum, warum, - das war, glaube ich, die meist gestellte Frage in der nun folgenden Zeit. Dass man damit nicht weiter kommt, haben wir jedoch schnell erkannt. Wir haben uns nun ganz gut an diese Situation gewöhnt. Wir wissen nun, dass viele Dinge nicht einfach sind, wie z.B. das Essen (Julia isst bis heute keine feste Nahrung). Viele Dinge sind natürlich auch besonders schön, z.B. dass es nicht selbstverständlich ist, wenn Ma-ma oder Pa-pa gesagt wird.
Das entschädigt einen doch aber für all die Mühen und Sorgen. Wir haben uns die Woche gut eingeteilt, so dass ein gesundes Maß an Therapie und Freizeit erreicht wird.
Seit dem 1. 1. 2000 besucht unsere Julia nun die Kindereinrichtung. Sie ist dort als Einzelintegrationskind untergebracht und das für 4 Stunden am Tag. Die ersten Eindrücke sind sehr positiv und sie ist natürlich der Hahn im Korb. Man merkt, dass sich Julia unter den Kindern wohl fühlt und viele Dinge versucht nachzuahmen. Wir sind uns unserer Lebensaufgabe bewusst, aber wir haben auch angefangen, ein "normales" Leben zu führen. Sicher gibt es immer wieder Höhen und Tiefen, oder kleinere und größere Probleme, aber was soll's. Es gibt jedoch auch weitaus schlimmere Krankheiten und Schicksale auf dieser Welt.
Julias Mutter Anke (im Dezember 1999)
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