Leah wurde am 1.4.1999 als unser erstes Kind geboren. Nach vorangegangener fehlgeburt verlief diese Schwangerschaft zunächst problemlos. Einige Wochen vor Geburtstermin gab es dann den Verdacht, dass das Baby recht klein sei, womöglich durch eine unzureichend arbeitende Plazenta. Leah kam dann auch drei Wochen vor dem Termin durch Kaiserschnitt zur Welt, da es ihr im Mutterleib nicht gut ging und sie wahrscheinlich nicht mehr ausreichend versorgt wurde.
Sie war tatsächlich sehr klein, 44cm/2050g, und wurde am nächsten Tag in eine Klinik mit Neonatologie verlegt, da sie nicht trinken und auch ihre Körpertemperatur nicht halten konnte. Dort wurde dann auch schnell der Verdacht auf eine Chromosomenanomalie in den Raum gestellt. Ich werde nie vergessen, welche Panik mich ergriff, als die Kinderärztin während der morgendlichen Visite an ihrem zweiten Lebenstag die Schwestern fragte: "Hat sie schon mal anderes geschrien?". Denn als Krankenschwester hatte ich irgendwann einmal etwas über das Katzenschreisyndrom gehört und nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das wegen Kaiserschnitt usw. sowieso nur langsam aufkeimende Mutterglück war wie weggeblasen. Am Schlimmsten empfand ich das Warten auf das Ergebnis der Chromosomenanalyse, als wir ständig zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin und her schwankten. Inzwischen hatte sich mein Mann im Internet schon recht ausführlich darüber informiert, was die Diagnose bedeuten würde. Als uns schließlich durch die Stationsäztin eröffnet wurde, dass sich der Verdacht bestätigt hatte, fiel ich in ein tiefes Loch der Trauer und Verzweiflung, aus dem ich erst nach Monaten wieder herausfand.
Ich tat mechanisch, was von mir als Mutter erwartet wurde. Zunächst im Krankenhaus, wo ich als Begleitperson aufgenommen war und ihre Pflege größtenteils selbst übernahm. Nach drei Wochen wurden wir entlassen und kämpften um jedes Gramm Gewichtszunahme, da Leah ansonsten wieder eine Magensonde drohte. Obwohl ich die Adresse des Vereins bereits in der Klinik erhielt, war ich erst nach mehreren Wochen in der Lage, Kontakt aufzunehmen. das mir prompt zugeschickte Infomaterial (danke!) war allerdings erst einmal nicht dazu angetan, mit unserer Situation besser klarzukommen. Die komprimierte Darstellung der Defizite und Probleme von Menschen mit Cri-du-Chat-Syndrom ließ mich noch mehr erschauern.
Erst mit Beginn der Physiotherapie während Leahs viertem Lebensmonat, änderte sich viel. Zu sehne, wie liebevoll Leah von den Therapeutin angenommen wurde, half mir selbst. Hinzu kam, dass ich Leah nun doch noch stillen konnte, nachdem wir ihr drei Monate lang wegen ihrer Trinkschwäche die abgepumpte Muttermilch aus der Flasche geben mussten. Als es ihr mit fünf Monaten endlich gelang, an ihrem Daumen zu lutschen und sich damit selbst zu beruhigen, konnten wir auch physisch erste einmal aufatmen. Denn von nun an schlief sie viel schneller ein und länger durch und weinte auch tagsüber nicht mehr so viel.
Langsam bekam das Leben wieder etwas Normalität und wir konnten uns über ihre ersten Entwicklungsschritte freuen. Mit sieben Monaten drehte sie sich vom Bauch auf den Rücken, mit ca. einem Jahr konnte sie sich rollend fortbewegen. Seit ihrem zweiten Geburtstag kann sie sich selbst hinsetzen und momentan robbt sie durch die Wohnung.
Leah ist ein sehr kontaktfreudiges und fröhliches Kind, welches alle Therapieangebote regelrecht dankbar annimmt. Physiotherapie erhält sie immer noch zweimal pro Woche, jetzt aber in der Integrations-Kita, die sie seit einem Jahr besucht und in der sie sich wohl fühlt. Zur Ergotherapie gehen wir seit kurzem einmal die Woche am Nachmittag in eine Praxis. Sprechen kann sie bisher nur einige Silbenreihen wie "Papa", "Mama", "dada" usw. Fortschritte macht aber ihr Sprachverständnis. Zustimmung und Ablehnung kann sie durch Kopfnicken bzw. Kopfschütteln signalisieren, aber nur, wenn sie will. Sie bevorzugt immer noch Speisen von relativ weicher Konsistenz, da Kauen nur für bestimmte Sachen, wie Erdnussflips o.ä. in Frage kommt.
Aktuelles Problem ist seit mehr als einem Jahr ihr Schlafverhalten. Wachphasen hatte sie auch davor gelegentlich. Diese wurden aber nach ihrem ersten Geburtstag immer häufiger und länger. Während das Einschlafen immer mehr oder weniger unproblematisch war und ist, erwachte sie immer früher (zwischen 1 und 2 Uhr) und war dann stundenlang wach, meist bis 5 oder 6 Uhr und das 3-5 mal in der Woche. Anfangs spielte sie allein in ihrem Bett und brüllte nur, wenn sie wieder müde wurde. Später wachte sie schon weinend auf und brüllte bis zum Einschlafen, wenn man nicht mit ihr aufstand. Man kann sich ausmalen, wie dies an den Nerven aller Familienangehörigen zerrte, besonders da mittlerweile ein kleines Schwesterchen (Saron) da war, welches nachts auch seine Rechte forderte. Wir haben natürlich viel versucht: Mittagsschlaf weglassen, sie stundenlang schreien lassen, Homöopathie (z.B. Pulsatilla), Pflanzenpräparate (z.B. Baldrian, Mixpräparat von Baldrian, Hopfen und Passionsblume), haben Bücher gelesen, Ärzte und Psychologen befragt. zeitweise war die Situation für mich nahezu unerträglich. Mittlerweile hat es sich deutlich gebessert. Sie wacht zwar fast jede Nacht mehrmals auf, wird aber meist nicht richtig wach und beruhigt sich wieder, wenn sie unsere Nähe spürt, das heißt, sie schläft dann bis zum Morgen bei uns im Bett. Tun wir das nicht, wird sie wach und schläft nicht mehr ein. Zufrieden sind wir mit dieser Situation nicht, da von Durchschlafen für den Rest der Familie weiterhin keine Rede sein kann und wir das "im Elternbett schlafen" nicht zur Regel machen wollen.
Leas Mutter Annett (Dezember 2001)
Alle Elternbriefe von Leah Sophie