Die Fortschritte, die Muriel seit dem letzten Bericht vor mehr als zwei Jahren gemacht hat, sind unübersehbar. Sie beherrscht mittlerweile rund 300 Gesten! Und jede Woche kommen neue dazu, die sie nur so „einsaugt“. Ihre Eltern hat sie auf diesem Gebiet schon längst hinter sich gelassen... Wir bräuchten mal eine Woche Ferien, um all die unbekannten Gesten aufzuarbeiten. Aber Muriel kennt nicht nur mehr Gesten als wir, sie wendet sie jetzt auch in Kombination an. So hat sie letzthin im Zoo bei den Gorillas die Zeichen für „gleich“, „Gorilla“, gefolgt von „daheim“ gezeigt, was so viel geheissen hat wie „zu Hause im Buch hat es den selben Gorilla“.
In die Schule geht sie nach wie vor sehr gerne. Sie kann es jeweils kaum erwarten, nach den Ferien oder dem Wochenende wieder in ihre Klasse zu kommen. Dort erzählt sie den anderen dann jeweils mit Hilfe ihres Kontaktheftes von ihren Erlebnissen. Das Kontaktheft ist gespickt mit Fotos und Berichten, die Mami geschrieben hat. Bei der Einführung des Kontaktheftes wurde uns vorgeschlagen, von Muriels Erlebnissen zu schreiben und zu zeichnen. Da wir beide weit entfernt von Zeichengenies sind, haben wir uns entschlossen, Fotos zu machen und mit einem kleinen Fotodrucker jeweils auszudrucken. So haben wir auch ein Tagebuch für uns selbst, da wir ja meistens mit Muriel unterwegs sind.
Seit den Sommerferien geht Muriel nicht mehr in die mittlere Klasse „gelb“, sondern zu den Grossen in die Klasse „rot“. In der Schule hat sie auch ihre Physiotherapie, Ergo- und Logopädie. Erfreulicherweise klappt es mit der Konzentrationsfähigkeit immer besser, so dass sie sich schon über 30 Minuten mit einer Sache beschäftigen kann und so natürlich auch viel mehr profitiert. Sie beschäftigt sich auch mit Buchstaben und Zahlen. Sie kennt ihren Namen und die ihrer Mitschüler in geschriebener Form und kann z.B. grosse und kleine As markieren, die sich zusammen mit anderen Buchstaben auf einem Blatt verstreut befinden. Ausserdem kann sie bis drei zählen und erkennt auch die entsprechenden Zahlen, z.B. im Lift. Im Lift will sie auch immer den Knopf drücken, was ihr mittlerweile sehr gut gelingt, obwohl die Knöpfe nur ca. 1cm x 1cm gross sind. Ihre Feinmotorik hat sich stark verbessert, vor einem halben Jahr kreiste ihr Finger noch ziemlich weit um den Knopf herum, bevor sie ihn gedrückt hat. Heute trifft sie zielsicher.
Am Pfingstsonntag feierte sie zusammen mit einem ihrer Mitschüler Erstkommunion. Nach wie vor kommt sie sehr gut aus mit ihrer Schwester und ihrem Bruder. Die müssen auch nicht mehr so viel leiden, da sie viel weniger erschrickt und dann die nächstmögliche Person packt, was dann halt oft ihre Geschwister waren. Seit letztem Herbst ist sie viel lieber mit dem Fahrrad unterwegs. Bis dahin hatte sie ein Anhängervelo, auf dem sie zu ihrer Sicherheit mit einem Brustgurt gesichert war. Dann aber wurde uns von der Versicherung ein „Hase Pino“ zur Verfügung gestellt. Ein Tandem, das vorne ein Liegevelo ist und bei dem die hintere, normal sitzende Person steuert. Für Muriel hat es den Vorteil, dass es viel bequemer ist und sie sich nirgends halten muss, somit die Hände frei hat zum „Sprechen“. Das ganze sieht sehr sportlich aus. Man sieht, dass es nicht eine Sonderanfertigung für Behinderte ist, sondern ein Fahrrad ab Stange. Es verleitet auch dazu, die Pedalstange auszuziehen und selber vorne Platz zu nehmen.
Muriel beeindruckt uns immer wieder mit ihrem Gespür für ausserordentliche Situationen und Gefühle. Schlechte Laune, Traurigkeit oder Rührung kann man vor ihr nicht verbergen. Sie reagiert sofort und insistiert so lange, bis sie den Grund für das Gefühl erfahren hat. Mit dem WC-Training sind wir aber immer noch beschäftigt. Da werden wir stark von ihrer Schule unterstützt. Leider klappt dies auch nach zwei Jahren noch nicht so, wie wir uns das eigentlich vorstellen. Es hängt sehr von Muriels Gemütsverfassung ab, ob sie den Tag ohne Einnässen übersteht. Wir sind also für alle Tipps dankbar...
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