Alter zum Zeitpunkt des Briefes: 
6.0 Jahre

Der Bericht über Philipp (geb. Mai 1998) im Sommer 1999 (Brief 2/99) war noch stark geprägt von den ersten sehr anstrengenden Lebensmonaten, von der Diagnose-Akzeptanz und dem Durchwursteln zwischen Ärzten und seelischer Ausnahmesituation.

Seither ist viel passiert: Philipp besuchte einen Integrativen Montessori-Kindergarten in Mainz, wo es ihm und uns sehr gut gefallen hat. Im Frühjahr 2004 stand die Entscheidung an, ob wir noch ein Kiga-Jahr dranhängen oder den Schulbesuch ansteuern sollten. Wir entschieden uns für die Schule. Hauptmotiv für diese Entscheidung war unser Eindruck, dass Philipp nun umfassender gefördert und gefordert werden musste. Informationen, Gespräche und Gutachten führten schließlich dazu, dass Philipp seit Beginn des Schuljahres 2005/2006 eine "Schule mit dem Förderschwerpunkt motorische Entwicklung" besucht.

Wir haben den Eindruck, dass die Entscheidung aus dem Vorjahr richtig war - Philipp ist in einem engagierten Umfeld und meistens nach der Schule zunächst sehr erschöpft. Die Physiotherapie ist integriert, die Beratung der Eltern im Bereich Hilfsmittel funktioniert sehr gut, es gibt Schwimmangebote und Exkursionen und die Schule ist im Rahmen ihrer Möglichkeiten sehr flexibel. Diese Flexibilität zeigt sich bspw. darin, dass Philipp an vier von fünf Tagen früher nach Hause kommen kann. Er ist noch nicht so belastbar, wie die anderen Kinder. Wir haben daher privat einen individuellen Fahrdienst für Philipp organisiert, der vier von zehn Fahrten in der Woche übernimmt (bzw. wir fahren selbst). Sukzessive soll der zeitliche Umfang seines Schulbesuchs ausgebaut werden. Wir sind hierbei eher zögerlich, da die Grundkonzeption einer Ganztags-Schule zzgl. Fahrdienst dazu führt, dass Philipp eigentlich sehr lange von zu Hause weg ist und dieses wiederum ein Familienleben unter der Woche sehr erschwert. Uns will einfach nicht einleuchten, warum Ganztagsschule (!) plus Fahrdienst (!) für Erstklässler (!) ab dem 1. Schultag das Nonplusultra sein soll. Die derzeitige Praxis ist jedenfalls ein guter Kompromiss und praktikabel. Philipp hat in den letzten Monaten auch gute Fortschritte gemacht - er ist aufmerksamer, konzentrierter und seine "Essens-Bandbreite" erweitert sich derzeit. Wir experimentieren mit dem Talker. Kernprobleme bleiben das Laufen (Philipp läuft sehr wackelig, nur mit intensiver Unterstützung und auch dann nur, wenn er wirklich will) sowie das Essen (nur Breikost, Pudding etc.).

Im Hintergrund läuft Philipps "zweites Handicap" mit, seine ausgeprägte Gaumenspalte, die im Herbst 2004 zum dritten Mal operiert wurde. Auch hier sind wir in der Mainzer Uni-Klinik in guten Händen - auch wenn der kreative Umgang mit dem "System Krankenhaus" manchmal nur schwer erträglich ist. Krankenhäuser sind zwar verständlicherweise auf "konsequent unkooperative Patienten" (Originalzitat) nicht eingestellt, wollen andererseits aber auch die elterliche Grundkompetenz auch nicht immer anerkennen.

Die Situation zu Hause hat sich seit der Geburt von Philipps Bruder Moritz (geb. Februar 2001) seelisch entspannt und ist zugleich hektischer und schneller geworden, zumal Moritz sehr fordernd und aktiv ist. Wir hatten vermutet, dass die Zeit für Moritz tendenziell aufgrund des "Zeiteinsatzes" für Philipp begrenzt ist, aber es scheint genau umgekehrt zu sein. Die hohe Geschwindigkeit in den Abläufen in der Familie wurde verstärkt durch einen Berufswechsel, einen Hausbau mit Umzug und im letzten Jahr durch Einschulung und fast gleichzeitigem Kiga-Beginn. Der ausgedehnte Sommerurlaub zu Viert in Italien im vergangenen Jahr war da sehr erholsam und sehr schön und wir planen jetzt für den nächsten Sommer.

Philipp ist ein fröhliches Kind und er lacht sehr viel. Er braucht viel Zuwendung, badet sehr gerne und bedarf viel körperlicher Nähe. Er gibt unheimlich viel zurück. Man könnte jetzt noch viel schreiben über die die vielen praktischen organisatorischen Abläufe und Hindernisse im Alltag, über Verordnungen, Pflegekassen und Pflegestufen, über seinen neuen Rollstuhl und den letzten Besuch im Schwimmbad. Aber ich denke dies alles charakterisiert Philipp zurzeit nicht. In unseren Augen ist Philipp ein "fröhliches Schulkind".

Philipps Papa Andreas (März,2005)