Alter zum Zeitpunkt des Briefes: 
1.5 Jahre

Karolinas (geb. 01.09.05) Intensivtherapie im Therapiezentrum Iven in Baiersbronn, Schwarzwald

Karolina (15 Monate) kam mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zur Welt und hatte von Geburt an große Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme. Selbst als mit 7 Monaten die Lippe verschlossen wurde, benötigte sie stets Flaschensysteme, bei denen man den Milchfluss manuell steigern konnte. So hörte ich von unserer Krankengymnastin, die immer über unsere Fütterprobleme informiert war, in diesem Zusammenhang ab und zu den Namen einer Logopädin, Gabriele Iven, die sich unter anderem auf Fütterproblematik spezialisiert hat.

Ausschlaggebend für unsere Intensivtherapie war, dass Karolina während der Krankengymnastikstunde Hunger hatte und ich sie dort mit Brei fütterte. Die Therapeutin war über Karolinas Ess- verhalten etwas entsetzt und sagte, dass Karolina nicht kauen lernen würde, wenn ihre Essmotorik sich nicht ändert. Ich war geschockt, denn das war mir gar nicht bewusst gewesen.

Karolina schloss weder den Mund um den vollen Breilöffel, noch beim Schlucken. Statt dessen machte sie mit der Zunge wellenförmige Bewegungen, die eigentlich zum Saugen notwendig sind. Dies aber bereits über mehreren Monaten hinweg. Ich habe es selbst probiert: schlucken mit geöffnetem Mund ist sehr anstrengend und kein Dauerzustand.

Also setzte ich mich zu Hause direkt ans Internet, machte die Seite www.gabriele-iven.de ausfindig und schilderte per E-Mail unsere Problematik. Wenige Tage später hatte ich, nachdem ich Infomaterial und eine Liste mit Ferienwohnungen erhalten hatte, einen Termin für eine Woche Intensivtherapie (Wartezeit ca. 10 Wochen) vereinbart und eine Ferienwohnung organisiert. Karolinas Papa konnte für diese Zeit Urlaub nehmen und mitkommen.

Da wir von all unseren Therapeuten kein rein positives Feedback über die Intensivtherapie bekamen, sondern eher Skepsis nach dem Motto "das muss jeder selbst für sich rausfinden ob es was für das Kind ist und diesem was bringt", sind wir mit gemischten Gefühlen losgefahren und haben keine Wunder erwartet. Uns war auch bekannt, dass die Kinder dort gefordert werden und die Intensivtherapie mitunter auch für die Eltern sehr anstrengend sei. Jedenfalls wollten wir es einfach ausprobieren, auch auf die Gefahr hin, dass es evtl. nur eine einmalige Sache ohne Erfolge werden könnte. Vorher musste ich noch beim Frühförderzentrum verschiedene Rezepte für Krankengymnastik, Ergotherapie und Logopädie besorgen, damit der Behandlung nichts mehr im Wege stand.

Karolina war für insgesamt 6 Tage, inkl. Samstag, angemeldet, an denen sie täglich, ihrem Alter entsprechend, zwei Therapiestunden bei verschiedenen Therapeuten hatte. Bei der Anamnese fragte uns eine Therapeutin, was unser Ziel sei - klar, anständiges essen - und teilte uns auch gleich mit, dass Karolina in dieser Woche höchstwahrscheinlich in der Therapie nicht essen würde und auch eher erst einmal an der Flasche trinken lernen müsse. Das verwunderte und enttäuschte uns natürlich und auch, dass wir fast im gleichen Atemzug eine Art Plan mit Stichmännchenzeichnungen in die Hand gedrückt bekamen, nachdem Karolina turnen und ihrem Entwicklungsstand nach (sie saß nicht, bewegte sich nicht fort, drehte sich zwar auf den Bauch - schimpfte dann aber weil sie in Bauchlage nichts anzufangen wusste, denn stützen strengt ja an und zum zurückdrehen fehlte ihr die Idee, obwohl sie es eigentlich konnte) bis zur Übungen "Kriechen" turnen sollte.

Turnen? Was hat denn turnen mit essen zu tun? Aber gut, wir hatten ja auch Rezepte für Krankengymnastik mitbringen sollen. Die Übungen waren auch nicht schwer, wie uns die Therapeutin zeigte, denn Karolina musste nichts selbst tun, sie wurde einfach bewegt. Jedoch hat man gleich erkannt, dass all diese Bewegungen beim Kriechen etc. wieder auftauchen. Von unserer Ergotherapeutin aus dem SPZ wusste ich bereits, dass Karolina Bewegungen immer wieder wiederholen muss, bis sie automatisiert sind, d.h. dass sie alleine auf die Idee kommt sie auszuführen. Somit fand ich dieses Turnen - das Konzept nennt sich Padovan - also ganz sinnvoll.

In der zweiten Therapiestunde fragte die nächste Therapeutin dann, ob wir schon eine Mundtüte hätten. Mundtüte? Äh..., nein, eine Mundtüte hatten wir nicht. Mittlerweile haben wir eine und es ist einfach eine Tüte, in der allerlei Dinge für Mundübungen sind. So z.B. ein Vibrationsgerät und Holzspatel wie ihn Ärzte benutzen, womit Karolina ab den Füßen aufwärts berührt wird. Auch der Mund, Gaumen und alle Zungenseiten werden damit ausgestrichen, zur Stimulation. Und einen Kauschlauch aus Gummi, auf dem Karolina links und rechts abwechselnd kauen und den sie dabei mit der Zunge berühren soll. Es gibt auch zwei Pfeifen, auf denen sie pfeifen soll, zur Luftstromlenkung. Ebenso einen Zahnarztspiegel, mit dem der Würgreflex ausgelöst wird, zur Stärkung des Gaumensegels. Eine Spritze, aus der sie einige Schlucke trinken soll und zuletzt eine gebastelte Konstruktion aus Gummis und Strohhalmen, womit die Zunge "gefangen" wird und Karolina sie wieder rausziehen soll. Diese Tüte kann von Kind zu Kind variieren und ist auch altersabhängig verschieden.

Am zweiten Abend fand im Therapiezentrum ein Elternabend für Eltern von Intensivpatienten statt (inkl. Kinderbetreuung auch von Geschwisterkindern), wo Frau Iven persönlich erklärte, warum so viel geturnt wird und wie wichtig das Turnen für die Kinder sei, denn sie hat die Erfahrung gemacht, dass Kinder bei denen auf das Turnen verzichtet wird, irgendwann Defizite aufweisen, und sei es "nur" eine Leseschwäche. Frau Iven erklärte auch, warum man die Kinder im Therapiezentrum so fordert und nicht bedauert, wenn sie schreien. Immerhin tut ihnen ja nichts weh, sondern sie möchten vielmehr nicht mitmachen. Sie ist von ihrem Konzept überzeugt und der Meinung, dass es (unangenehme) Dinge gibt, die Kinder ohne große Diskussionen einfach tun müssen, ob das nun Hausaufgaben sind oder turnen. Sie arbeitet z.B. auch mit Frau Padovan persönlich zusammen und erlernt das Konzept nicht von Dritten.

Alle Eltern oder ohne Mann angereiste Mütter stellten sich vor und erklärten kurz, an was ihr Kind leidet. Es gab viele Kinder mit Down-Syndrom oder Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten, jedoch auch welche, die einfach entwicklungsverzögert waren oder Behinderungen hatten und mehr oder minder beeinträchtigt waren. Etliche Familien waren bereits zum zweiten, dritten oder vierten Mal da und erklärten, dass in jede Intensivwoche Fortschritte bei ihren Kindern ersichtlich wurden und zu Hause beim fleißigem Üben, weitere Fortschritte festzustellen sind. Natürlich war niemand da, der erzählte dass es seinem Kind nichts brachte und das Kind nicht mehr kommen wird, obwohl es dies evtl. auch gibt. Eine Altersbegrenzung für Kinder gibt es nicht (wir lernten Patienten von 9 Monaten bis 15 Jahre kennen), im Gegenteil, denn es kommen u.a. auch Senioren zur ambulanten Therapie, wenn auch die Kinder sehr überwiegen.

 In der Zeit vor und nach den Therapiestunden konnten wir mit Karolina in einer Spielecke spielen, über Kopfhörer Lateraltraining mit ihr machen, mit anderen Eltern Kontakte knüpfen oder einfach Kaffee trinken. Im Therapiezentrum kam somit bei Groß und Klein keine Langeweile auf, auch auf Geschwisterkinder ist man dort eingestellt, scheinbar auch bei der Terminvereinbarung der Therapien. Die Termine sollte man beim Verlassen der Praxis immer an der Rezeption abchecken, da sie sich evtl. kurzfristig ändern können.

Jedenfalls bestand die Therapie im Großen und Ganzen darin, dass Karolina zwei Mal täglich mit den Therapeuten immer die gleichen Übungen turnen und "Mundtüte machen" musste, wie es dort so schön genannt wurde. Ab und zu auch Castillo Morales, je nach behandelnder Therapeutin und deren Ausbildung. In einer Mappe, die wir ständig mit uns rumschleppten und auch mit nach Hause nehmen duften, wurde alles an Therapie und Zielen eingetragen. Auch bekamen wir den Rat, Karolina Vitamin H, bzw. Biotin zu geben (gibt es sogar rezeptfrei in Drogeriemärkten), das sich in entsprechender Dosis positiv auf ihren schwachen Muskeltonus auswirken sollte und nach wenigen Tagen auch sichtbar auswirkte. Um den Rat, mit Karolina Trampolin zu springen war ich auch dankbar. Denn sie hatte großen Spaß daran, mit mir auf meinem Arm zu hüpfen und fand es auch nicht schlecht, wenn sie auf dem Bauch lag und ich mich über sie stellte und leicht hüpfte. Es war direkt ersichtlich und nachvollziehbar, dass sie Muskelspannung aufbauen musste, sobald es wippte. Ursprünglich sollten wir auch einen Termin zur Ernährungsberatung bekommen, welcher aber letztendlich nicht zustande kam, aber durch eine nachträgliche telefonische Beratung ersetzt werden konnte.

Nach dem dritten Tag wurden wir entsprechend angeleitet, so dass wir alle Übungen auch zu Hause, einmal täglich, fortführen konnten. Karolina war ab dem zweiten Tag auffallend müde, scheinbar war es für sie doch anstrengend. Sie wurde aber in keiner Weise überfordert oder ähnliches. Im Gegenteil, sie hat immer gut mitgemacht, obwohl das Pfeifen ihr immer noch ein Gräuel ist, weil sie eben nicht versteht, was sie da tun soll. Trotzdem muss sie auch das lernen. Letztendlich wurde sogar spontan doch gefüttert. Da Karolina 1.5 Stunden vor ihrer eigentlichen Essenszeit war und ich ausdrücklich sagte, wie wenig sie üblicherweise isst, war ich überrascht was für einen Riesenpott Brei die Therapeutin anrührte. Aber vor allen Dingen war ich überrascht, dass Karolina ALLES aß. Mit entsprechender Konsequenz funktioniere wohl auch das. Jedoch sehen wir zu Hause eher davon ab, sie zu mästen, weil wir der Meinung sind, dass Essen mehr ein Genuss statt ein Muss sein sollte.

Fazit der Therapie ist, dass es für uns ein Erfolg war und ich in ca. drei Monten mit Karolina bereits zur nächsten Intensivwoche angemeldet bin, diesmal aus urlaubstechnischen Gründen leider ohne meinen Mann. Karolina isst weiterhin mit dem Löffel und trinkt aus dem Trinkbecher (obwohl das den Therapeuten nicht gefällt), damit sie satt wird und nicht abnimmt. Wenn sich ihre Zungen- und Mundmuskulatur durch die Mundübungen entsprechend weiter gestärkt hat, lernt sie beim nächsten Mal richtiges Saugen, was aber nicht bedeutet, dass sie wieder über die Flasche ernährt wird. Auch mit Sprachanbahnung wir dann wohl begonnen. Karolina kugelte schon in der Mitte der Intensivwoche durch den Raum - vom Rücken auf den Bauch und zurück! -, oft an Blumenstöcke um dort Blätter abzureißen, sie rollt sich oft auf den Bauch und stütz sich dann wesentlich länger auf den Unterarmen, hebt schön den Kopf dabei und greift auch selten mal etwas. Man kann sie nun hinhocken und sie bleibt kurze Zeit selbstständig sitzen, bevor sie umkippt. In der Woche nach der Intensivtherapie schloss sie nach fast jedem Löffel Brei den Mund, wenn sie ihn dann auch manchmal nicht gleich wieder aufmachen wollte. Ihre Zunge bewegt sich anders und sie lautiert auch anders, brabbelte sogar einmal deutlich "Papa". Ebenso fing sie in dieser Woche beim schwimmen an, mit den Händen ins Wasser zu patschen.

Mittlerweile (nach ca. 5 Wochen) haben die Erfolge wieder ein bisschen abgenommen, d.h. Karolina fängt wieder an mit offenem Mund zu essen. Ich gehe aber davon aus, dass wir uns das selbst zuzuschreiben haben, weil wir im momentanen Stress ein bisschen nachlässig mit dem Turnen und der Mundtüte sind, obwohl die Übungen wirklich sehr wenig Zeit in Anspruch nehmen. Dafür stützt sich Karolina derzeit auf einem Keilkissen enorm lang auf Unterarmen oder auch Händen ab.

Wir finden, Karolinas Allgemeinzustand hat sich verbessert und es war einfach gut, sie mal von anderen Therapeuten anschauen zu lassen und neue Ideen zu bekommen. Außerdem war der Aufenthalt zwar stressig, aber auch angenehm, weil einem einfach bewusst wurde, dass man nicht alleine ein besonderes Kind hat.

Da die Übungen zu Hause wirklich nicht aufwändig sind und trotzdem Erfolge erzielt werden können - vorausgesetzt man ist konsequent -, kann ich diese Intensivtherapie also nur weiterempfehlen.

Karolinas Mama (Dezember 2006)

 

Fotoalbum

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